Namensartikel Prof. Russwurm
Ohne Trump wird vieles einfacher, aber es bleibt genug zu tun für die Politik. Auch wir Unternehmen haben transatlantische Arbeit vor uns. Von Siegfried Russwurm
Kanzlerin Angela Merkel reist kommende Woche nach Washington, um US-Präsident Joe Biden zutreffen. Was tut die deutsche Wirtschaft? Sie bündelt ihre Kräfte und ruft eine wirtschaftsübergreifende Initiative ins Leben, die „Transatlantic Business Initiative“. Mit dieser Initiative möchten wir dazu beitragen, dass ein neues Kapitel in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen aufgeschlagen wird. Wir entwickeln konkrete politische Vorschläge für das Zusammenspiel im Bereich der Handelsund der Klimapolitik, zu Fragen der Digitalisierung und Datenwirtschaft sowie der Unternehmensfinanzierung. Die Bezeichnung Deutschlands als „bester Freund der USA“ durch Außenminister Blinken ist eine hervorragende Bedingung für die Revitalisierung unserer transatlantischen Wertegemeinschaft. Der Gedanke einer Äquidistanz Deutschlands und Europas zu den USA und dem gemeinsamen Systemkonkurrenten China ist fernliegend. Dennoch dürfen wir uns keine Illusionen machen: Die USA haben eine klare Agenda für den Umgang mit Deutschland und Europa, auch wenn wir eine moderate Tonlage nach den erratischen Jahren der Trump-Ära erleben.
Bidens politische Entschlossenheit hat sich vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an gezeigt. Mit einem historisch dimensionierten Konjunkturpaket und einem gigantischen Infrastrukturprogramm demonstriert der Präsident seinen politischen Willen und seine Durchsetzungskraft. Gleichzeitig sind die politischen Mehrheiten für ihn und seine Partei insbesondere im Senat äußerst knapp. Daher ist es umso wichtiger, die transatlantische Zusammenarbeit jetzt entschieden voranzubringen, wo immer es möglich ist.
Ansatzpunkte dafür gibt es reichlich: Komplementarität und Kooperation von Technologieunternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks werden oft unterschätzt. Dabei gibt es eine stete Abfolge von Erfolgsgeschichten, ob nun Biontech/Pfizer, neue Technologie für Halbleiter-Strukturen kleiner als zehn Nanometer oder die Transformationsprozesse hin zu E‑Mobilität, Wasserstoffwirtschaft, Digitalisierung klassischer Industrien oder klimaeffizienter Erneuerung der Infrastruktur.
Deutsche und Europäer brauchen eine selbstbewusste Haltung im Umgang mit den USA. Wir haben gute Gründe dafür, nicht nur durch die Stärke und Präsenz zahlreicher unserer Unternehmen in den USA. Sondern auch, weil die deutsche Industrie als Ganzes eines der Kraftzentren des europäischen Binnenmarkts als zweitgrößter Wirtschaftsraum der Welt ist. Ein wirtschaftlich starkes Europa ist unabdingbar für das von Biden immer wieder formulierte Ziel, das Ansehen und die Durchsetzungskraft der liberalen Demokratien in der Welt zu stärken.
Während die USA immer noch der wichtigste Exportmarkt für deutsche Waren sind, ist China inzwischen insgesamt – Exporte und Importe zusammengenommen – der größte Handelspartner Deutschlands. Die deutschen Unternehmen sind auch dank der Dynamik in China bisher insgesamt gut durch die Corona-Krise gekommen. Der deutsche Staat, der in der Krise enorm gefordert war, dürfte darüber sicherlich erleichtert sein. Ganz anders in den USA: Dort forderte Brian Deese, der Wirtschaftsberater des Präsidenten, die Lieferketten der US-Wirtschaft stärker an der eigenen nationalen Sicherheit auszurichten. Ein deutliches Signal in Richtung der Volksrepublik. Aufbau und Pflege internationaler Lieferbeziehungen gehören zu den ureigenen Domänen unternehmerischer Entscheidungen, inklusive des zu tragenden Risikos. Dennoch müssen wir einen offenen Diskurs darüber führen, wie sich die Wirtschaft in Zukunft im Umgang mit Autokratien verhalten sollte. Ein Diskurs, der in den USA schon seit vielen Jahren gerade mit Blick auf China wesentlich engagierter als in Deutschland geführt wird und der hierzulande erst beginnt. Zu Klugheit und Weitsicht einer Geo-Strategie gehört auch, sich bewusst zu machen, dass Asien weit mehr als China ist. Die westlichen Marktwirtschaften tun gut daran, vor allem den Asean-Ländern ausdrücklich Alternativen zu China zu bieten.
Aber Geopolitik kann immer nur den großen Rahmen für unternehmerische Entscheidungen schaffen. Ersetzen kann sie diese nicht. Insofern müssen auch Themen erörtert werden, die unsere Unternehmen derzeit hemmen und einer Vertiefung der transatlantischen Beziehungen im Wege stehen. Immer noch belasten Zölle für Stahl und Aluminium die Handelsbeziehungen. Der EU-US-Gipfel im Juni hat für ermutigende Signale gesorgt. Hier muss es nun konkret weitergehen: Was wir auf US-Seite – zumindest in der Administration, im Kongress gibt es auch andere Stimmen – derzeit schmerzlich vermissen, ist das Ziel, den Handel nicht nur nachhaltiger und gerechter zu gestalten, sondern auch weiter zu vereinfachen und neue Abkommen zu schließen. So wichtig die Beilegung der Handelskonflikte ist: Wir wünschen uns gleichzeitig den Abbau von Handelsbarrieren, die den transatlantischen Markt schon lange belasten. Dazu gehören beispielsweise die Zölle auf Industriegüter. Und wir blicken besorgt auf verschärfte Buy-American-Regelungen, die bis zum 25. Juli vorliegen sollen.
Europäische Produkte sind nicht nur sicher für den europäischen Binnenmarkt, sondern auch für den US-Markt. Dennoch werden von europäischen Exporteuren zusätzliche Nachweise zur Einhaltung von Normen und Produktstandards verlangt. Dies bedeutet für viele Unternehmen, vor allem im Mittelstand, überbordende Bürokratie und Kosten – eine enorme Hürde. Um den transatlantischen Handel voranzubringen, sollten technische Standards angeglichen und überall dort, wo es möglich ist, Konformitätsbewertungen gegenseitig anerkannt werden.
Es wäre zudem ein Ausdruck großen Vertrauens, wenn die Einreisebestimmungen in die USA für Geschäftsreisende aus Deutschland wieder gelockert würden. Viele Unternehmen, große und mittelständische, warten dringend darauf, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Wartungen, Instandsetzungen und andere produktbegleitende Dienstleistungen vor Ort durchführen dürfen. Darunter leidet auch die Produktion in den USA, an der zahlreiche US-amerikanische Arbeitsplätze hängen. Deutsche Unternehmen sind der drittgrößte ausländische Arbeitgeber in den USA. Auch bei den geltenden Einreisebeschränkungen ist der Begriff der „nationalen Sicherheit“ im politischen Spiel. Wenn die Corona-Krise jetzt Schritt für Schritt überwunden wird, ist es höchste Zeit, die besten Freunde wieder ins Land zu lassen und gemeinsam an Lösungen für die globalen Herausforderungen zu arbeiten.
Siegfried Russwurm ist seit Jahresbeginn Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und Vorsitzender der neuen „Transatlantic Business Initiative“der Verbände BDI, BGA, DIHK und BdB